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Nachzug von Frauen und Kindern
Einführung in die Fragestellung und in die Forschungsgeschichte
In der älteren Forschung, noch bevor die Frauen- und Geschlechtergeschichte
auch Einzug in die Geschichtsschreibung der griechischen-römischen
Antike gehalten hatte, war es für alle Forscher klar (Forscherinnen
gab es damals noch kaum) : Die römische Armee war eine männliche
Welt, Frauen hatten darin nichts zu suchen. Ebenso konstruierte
man die Lebenswelt der römischen Verwaltung ohne Frauen, d.h.
es wurde die Verwaltung des römischen Reiches untersucht mit
den senatorischen und ritterlichen Laufbahnen, was selbstverständlich
die Grundlage jeglicher weiterer Überlegungen darstellt, ebenso
wurden die Funktionen und Kommandostellen in der römischen Armee
untersucht, so wie wir sie Ihnen in Tafel 1.2 und Tafel 1.5 vorgestellt
haben. Diese Sicht muss nun durch die modernen Fragestellungen der
Frauen- und Geschlechtergeschichte ergänzt werden.
Die Frauen-, dann die Geschlechtergeschichte ist in den 1970er
Jahren von Amerikanerinnen recht eigentlich entdeckt und in die Geschichtsschreibung
eingeführt worden; für die Antike ist Sarah Pomeroy zu nennen,
die mit dem Buch "Frauenleben im klassischen Altertum" (dt.
1985) die Diskussion angestossen hat. Freilich konnte ihr Buch nur
ein erstes Werk sein, da viele Einzeluntersuchungen noch fehlten.
Die französische und italienische Forschung hat das Thema recht
rasch aufgenommen, während die deutsche Altertums-Forschung zögerte
(in der Erforschung der Frühen Neuzeit hingegen sind deutschsprachige
Studien zahlreich). In der Schweiz hat die Verfasserin des vorliegenden
Moduls (Regula Frei-Stolba) die Frauenstudien an der Universität
Lausanne verankert (Publikationen in Etudes de Lettres und nun in
der Reihe : ECHO); vergleichen Sie dazu auch das Modul "Femmes
et vie publique à l’époque hellénistique"
von Anne Bielman, Lausanne). Innerhalb dieser seit einer Generation
laufenden Studien hat sich die Optik verändert : heute werden
die Frauen nicht mehr isoliert betrachtet und an modernen Fragen gemessen
(etwa : wie emanzipiert waren Frauen zu einer bestimmten Zeit, wobei
der Massstab der Mann ist), sondern der neue Ansatz heisst Geschlechtergeschichte
als Teil der Sozialgeschichte.
Es gibt hier verschiedene Sichtweisen; wir wählen jene aus, in
welcher die Geschlechterdifferenzierungen im gesamten Lebensbereich
nach Rollen und Räumen untersucht werden (wo entfalteten
sich die Tätigkeiten der Frauen, wo jene der Männer, vgl.
die Beiträge in ECHO 2), die sich innerhalb einer Epoche wandeln
konnten. Was die römische Kaiserzeit betrifft, so müssen
die Unterscheidungen noch schärfer gefasst werden : Die soziale
Stellung, die Schichten- oder besser Ständezuweisung geht dem
Geschlecht weitgehend vor. Es gibt nicht die Opposition Mann/Frau,
sondern wir müssen unterscheiden zwischen den Frauen aus den
beiden oberen Ständen (Senatorenstand, Ritterstand), den Frauen
aus den städtischen Eliten und den gewöhnlichen römischen
Bürgerinnen, den freigelassenen Frauen, den Sklavinnen und den
Frauen aus der peregrinen Bevölkerung, die ganz unterschiedliche
rechtliche und soziale Stellungen innehatten.
Alle diese Frauengruppen werden in der Forschung neu untersucht; die
Quellen sind vor allem Inschriften, Papyri und Schreibtafeln sowie
die archäologische Hinterlassenschaft, während dagegen die
literarischen Texte, die immer von Männern verfasst wurden und
deshalb das Bild der Frau in der Sicht des Mannes widerspiegeln, in
den Hintergrund treten. Wichtig ist : Es sind nicht neue Quellen,
die gefunden werden, sondern die altbekannten Texte und alte Funde
werden neu befragt.
Kehren wir zur römischen Verwaltung und zur römischen Armee
zurück ! Erst durch den Aufsatz von Marie-Thérèse
Raepsaet-Charlier und Forschungen anderer Autoren erkannte man, dass
die römischen Senatoren selten allein ihre Stellungen in den
Provinzen antraten (Statthalterschaften, aber auch den Posten als
Legionskommandanten !), sondern dass sie von ihrer Familie (Frau und
Kindern sowie der Dienerschaft) begleitet wurden. Dasselbe gilt
für die Ritter. Diese Lebenswirklichkeit verändert unsere
Sicht auf die römische Verwaltung und die römische Armee
und veränderte bereits schon damals die Sicht der Untertanen
auf die römischen Institutionen.
Wir legen Ihnen in dieser Tafel die Quellen vor, die – abgesehen
vom Text des Tacitus – neueste Forschungsergebnisse darstellen.