Anders
als beispielsweise die Senatoren Praetextatus, Symmachus und Probus,
gehörte Ammianus Marcellinus mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht
zum inneren Kreis der Senatsaristokratie Roms. Seine Herkunft, berufliche
Laufbahn und sein Status sind aus den von ihm geschilderten Ereignissen
nur ungenau zu bestimmen, und ausserhalb seines literarischen Schaffens
gibt es keine gesicherten Angaben zu seiner Person. Um das Jahr 330
geboren, stammte er aus einem gutsituierten Haus in Antiochien, oder,
wie auch anderweitig vermutet, aus Tyrus oder Sidon. Dass er schon
in jungen Jahren zum
protector domesticus, zum Leibwächter,
ernannt wurde, legt nahe, dass seine Familie bereits über einen
höheren als den kurialen Status verfügte.
In der Absicht, eine militärische Karriere einzuschlagen, diente
er eine Zeitlang im Stabe des Oberbefehlshabers der Orientarmee. Im
Jahre 363 nahm Ammian an Julians Feldzug gegen die Perser teil und
kehrte nach einer Niederlage mit der besiegten römischen Armee
nach Antiochien zurück. Nach einem mindestens fünfzehnjährigen
Aufenthalt im Osten des Reiches wanderte er nach Rom aus, wo er die
letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte und sein Geschichtswerk
res gestae verfasste. Ammian setzte darin das Werk von Tacitus
bis in seine eigene Zeit fort. Bedauerlicherweise sind von den
res gestae nur die Bücher 14-31 überliefert, die sich
mit den Jahren 353-378 befassen. Seine zahlreichen präzisen Urteile
über Kaiser und Aristokraten lassen enge Beziehungen zu diesen
Schichten vermuten. Dass jedoch Ammian selbst dem römischen
ordo
senatorius angehörte, ist aus zwei Gründen unwahrscheinlich.
Zum einen fand seine, zunächst erfolgreiche, militärische
Karriere spätestens mit dem Tod Julians ein frühzeitiges
Ende. Über denkbare Ursachen wurden verschiedene Möglichkeiten
erwogen. Vielleicht wurde seine Laufbahn durch die Nähe zu General
Ursicinus, der für den Verlust von Amida offiziell verantwortlich
gemacht wurde, kompromittiert. Vielleicht schloss er sich etwas zu
enthusiastisch dem Hof Julians an und wurde von dessen christlichen
Nachfolgern nicht mehr berücksichtigt. Barnes beurteilt Ammians
Stellung und Haltung folgendermassen:
"By the time he wrote his history, Ammianus was a disappointed
and embittered man. His use of the word
potentes reflects the
attitudes of one not accustomed to enter the portals of real power."
(Barnes T. D.,
Ammianus Marcellinus and the Representation of
Historical Reality, Ithaca-London 1998, S. 59)
Zum anderen unterzog Ammian die römische
nobilitas einer
herben Kritik, die so ohne eine gewisse Distanz nicht denkbar gewesen
wäre. Distanz schuf zumindest der Umstand, dass er als zugewanderter
miles quondam et Graecus, wie er sich selbst bezeichnete, in
Rom ein Fremder war. Entsprechend wird auch der unwürdige Umgang
mit Fremden wiederholt thematisiert.