Sarkophag des Junius Bassus (Frontseite) mit Inschrift CIL VI 32004
(Bild aus: Struthers Malbon Elizabeth,
The Iconography of the
Sarcophagus of Junius Bassus, Princeton 1990).
Die neue Gesinnung des
neofitus zeigt sich vor allem im ikonographischen
Programm des Sarkophags: Anstelle der traditionellen Darstellungen,
welche die Wände der Basilika seines Vaters zierten, trat eine
Illustration der "heiligen Geschichte" des Christentums
in den Vordergrund. Sämtliche Nischen der Frontseite enthalten
Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, die sorgfältig und
vielschichtig nach typologischen Patterns angeordnet sind. In der
oberen Zone bilden – um ein Beispiel zu nennen – die Szene
mit Abraham und Isaak sowie die Szene mit Pilatus und Christus ein
Paar, wobei das unvollständige Opfer von Abrahams Sohn die Vorwegnahme
der Opferung von Gottes Sohn darstellt.
Aufschlussreich ist der Umstand, dass bei aller Dominanz biblischer
Themen trotzdem nicht ganz auf
traditionelle Symbole
verzichtet wurde. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass diese den Rahmen
des Geschehens bilden: Angefangen bei den beiden Masken der römischen
Gottheiten Sol und Luna auf den Aussenkanten, über das Kline-Mahl
der Toten auf dem Deckel, bis zu den beiden Schmalseiten, welche die
vier Jahreszeiten mit sich tummelnden Genien oder Amoretten darstellen:
(Rechte Schmalseite des Sarkophags)
Diese der paganen Welt entnommenen Symbole stehen keineswegs abseits,
sondern gliedern sich nahtlos an die übrigen Szenen an.
In der römischen Kunst standen Sol und Luna für den Sieg
und den Ruhm des Reiches und sind in dieser Funktion zum Beispiel
auf dem Konstantinsbogen abgebildet. Im sepulkralen Bereich versinnbildlichen
sie das Leben, das mit dem Sonnenaufgang seinen Anfang nimmt, und
mit dem Aufsteigen des Mondes sein Ende findet. Die Darstellung von
Sol und
Luna in Maskenform geht auf die griechische
Maskentradition zurück und wurde oft mit
Dionysos in
Verbindung gebracht. Offenbar stellten diese Konnotationen kein Hindernis
für den christlichen Gebrauch der beiden Gottheiten dar. Mit
erstaunlicher Leichtigkeit wurde ihr symbolischer Gehalt von der ursprünglichen
Bedeutung abgetrennt und für neue Zwecke eingespannt.
Zwar versinnbildlichen
Sol und
Luna auf dem Sarkophag
von Junius Bassus nach wie vor die irdische Lebensspanne, rahmen sie
doch die biographische Inschrift des Senators ein. Jedoch, wenn alle
Figuren des Deckels linear von links nach rechts betrachtet werden,
präsentieren sie zusätzlich eine Gesamtschau, welche sowohl
das irdische Leben als auch das Erlösungswerk Christi umfasst.
Dabei spielt das Relief des Totenmals eine Schlüsselrolle: Ohne
Zweifel schwingt in dieser Szene die starke, vor allem beim Adel ausgeprägte
Tradition der Erinnerung an die Vorfahren mit, und gleichzeitig tritt
als neue Deutung die Gemeinschaft der Heiligen, der lebenden wie der
toten, durch das Sakrament des Abendmahls auf den Plan. Mit dieser
Deutung wird das Erlösungswerk Christi auf der Frontseite mit
dem Leben von Junius Bassus verbunden.
Ebenfalls von ihrer ursprünglichen Bedeutung entfremdet wurde
die Darstellung der vier Jahreszeiten auf den beiden Schmalseiten
des Sarkophags. Während im traditionellen Kontext die vier Jahreszeiten
auf eine sich fortwährende Wiederholung, eine zyklische Kontinuität
des Lebens hindeuteten, symbolisierten sie für die Christen alsbald
die Auferstehung, und mussten deshalb möglichst als einmaliges
Ereignis, als einmaliges Erwachen zum neuen Leben, dargestellt werden.
Tatsächlich sind die vier Jahreszeiten nicht schön regelmässig
auf die vier Szenen der Schmalseiten verteilt, sondern im Gegenteil
so angeordnet, dass gewisse Kunsthistoriker von einer ikonographischen
Verwirrung sprechen. Es ist auffallend, dass auf der linken Seite
beide Szenen eine Traubenernte, also den Herbst darstellen, und auf
der rechten Seite Sommer, Winter, Frühling und wieder Herbst,
also sämtliche vier Jahreszeiten, enthalten sind. Speziell dabei
ist vor allem die untere Zone auf der rechten Seite, welche in derselben
Szene unter anderem den Winter mit dem Frühling kontrastiert,
symbolisiert durch einen vollständig bekleideten Genius mit Olivenzweig
und einen leicht bekleideten Genius mit Blüten und Girlanden.
Falls es sich bei jener Darstellung der Jahreszeiten nicht schlicht
um einen Fehler des Künstlers oder um eine fehlerhafte Vorlage
handelt, liegen zumindest drei Deutungsmöglichkeiten vor. Erstens
kann die starke Gewichtung der Traubenernte auf Jesus als Weinstock
hinweisen. Bereits auf der Frontseite nimmt er die zentrale Position
ein und wird auch dort von mit Weintrauben umrankten Säulen eingerahmt.
Zweitens deutet die Kombination von Korn und Weintrauben, wie bereits
das Totenmal, auf das Sakrament der Eucharistie hin. Und drittens
wird mit der Durchbrechung des Jahreszeitenzyklus und der Gegenüberstellung
von Winter und Frühling in ein und derselben Szene die Auferstehung
symbolisiert, die auf das Opfer Christi folgte und an der auch Junius
Bassus als
neofitus teilhatte.